Immobiliengesellschaften: Stille Reserven und deren Besteuerung / Teil 1
Einleitung
Seit mehreren Jahrzehnten wird Immobiliengesellschaften besondere politische Aufmerksamkeit geschenkt.[1] Insbesondere steuerrechtlich werden sie strenger als übrige Kapitalgesellschaften behandelt. Bspw. werden für die Zwecke der GGSt Ersatzbeschaffungen von Immobiliengesellschaften grundsätzlich nicht anerkannt. Oder der Gesetzgeber hat versucht, für Immobiliengesellschaften viel tiefere Fremdfinanzierungsquoten als für übrige Kapitalgesellschaften einzuführen (Art. 75 Abs. 2 und 3 aDBG). Zudem werden Immobiliengesellschaften bei der Ermittlung von verdecktem Eigenkapital auf Kantonsebene heute noch teilweise gesondert behandelt.[2]
Einerseits ist der Boden in der Schweiz knapp und deswegen teuer. Generell werden Grundeigentümer als „reich“ betrachtet und Immobiliengesellschaften sind eher unbeliebt. Andererseits ist die Schweiz eine Mietergesellschaft: Laut Angaben des Bundesamts für Statistik sind im Jahr 2022 58.1% aller Nutzer von Wohnliegenschaften entweder Mieter oder Untermieter.[3] Die Zurverfügungstellung und Bewirtschaftung von Mietwohnungen und das Pflegen der Mietverhältnisse kann in diesem Lichte als wichtige, im Interesse der Öffentlichkeit liegende Aufgabe betrachtet werden. Je besser finanziert eine Immobiliengesellschaft ist, desto qualitativ bessere „Produkte“ stellt sie zur Verfügung und desto kulanter kann sie auch zu ihren Mietern sein.
Da Immobiliengesellschaften Liegenschaften in vielen Fällen in verschiedenen Kantonen besitzen, verkompliziert sich deren Besteuerung durch interkantonale Steuerausscheidungen.
Begriff der stillen Reserven
Eine Immobiliengesellschaft verfügt tendenziell über hohe stille Reserven. Diese sind gerade bei Immobiliengesellschaften sowohl für die Frage des verdeckten Eigenkapitals als auch für die Besteuerung der Grundstückgewinne von zentraler Bedeutung.
Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ergeben sich stille Reserven aus der Differenz zwischen dem Buchwert und dem Verkehrswert einer Bilanzposition.[4] Die Bildung der stillen Reserven führt dazu, dass das Eigenkapital insgesamt einen zu tiefen Wert aufweist.[5] Stille Reserven können grundsätzlich durch Unterbewertung von Aktiven oder Überbewertung von Passiven entstehen bzw. gebildet werden.[6] Im Lichte der während der letzten Jahrzehnte gestiegenen Immobilienpreise[7] weisen Liegenschaften in der Bilanz von Immobiliengesellschaften und folglich das bilanzierte Eigenkapital der letzteren meistens einen zu tiefen Wert auf. Tendenziell sollte gelten, je älter eine Gesellschaft ist, desto grössere stille Reserven „verbergen“ ihre Immobilienbilanzpositionen.
Die schweizerische Rechnungslegung unterscheidet im Bereich der stillen Reserven zwischen Willkürreserven und Zwangsreserven. Die ersten sind willentlich von der Unternehmungsleitung zulasten des Gewinnausweises in der Erfolgsrechnung gebildet und werden in der Lehre unter dem Gesichtspunkt der ordnungsgemässen Rechnungslegung kritisch betrachtet.[8]
Eine grosse Bedeutung im aktienrechtlichen Buchführungsrecht kommt jedoch dem Vorsichtsprinzip zu, wonach von den zwei denkbaren Werten jeweils der für die Gesellschaft ungünstigere zu wählen und bei zwei möglichen Entwicklungen auf die weniger vorteilhafte abzustellen.[9] Grundsätzlich bleibt die sachgerechte Bildung von willkürlichen stillen Reserven im Handelsrecht infolge des Vorsichtsprinzips erwünscht und ist nach dem neuen Rechnungslegungsrecht weiterhin vorgesehen[10], auch wenn die neuere Lehre vor der „überstrapazierten“ Auslegung des Vorsorgeprinzips warnt und für die „true and fair view“-Methodik plädiert.[11]
Solche Zwangsreserven wachsen über die Jahre an, entstehen erfolgsneutral und ohne Zutun der Unternehmensleitung.[12] Sie entstehen dadurch, dass die Werte aus konjunkturellen Gründen oder zufolge Inflation ansteigen, was vor allem bei Grundstücken und Wertpapieren vorkommt.[13] Diese Reserven sind nicht Gegenstand der besonderen OR-Regeln zu den stillen Reserven.[14] Demgegenüber sind gerade solche Zwangsreserven für die Fragen des verdeckten Eigenkapitals und der Grundstückgewinnbesteuerung bei Immobiliengesellschaften von besonderer Relevanz.
Handels- und steuerrechtliche Auflösung von stillen Reserven
Ausgangspunkt der steuerrechtlichen Gewinnermittlung bildet der Saldo der Erfolgsrechnung, womit das Steuerrecht an die handelsrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsbestimmungen anknüpft: Es gilt der Grundsatz der Massgeblichkeit der Handelsbilanz.[15]
Im Handelsrecht gilt im Rahmen des vorgenannten Vorsichtsprinzips das allgemeine Aufwertungsverbot, wonach die Buchwerte grundsätzlich nicht ohne Realisationsvorgang aufgewertet werden dürfen.[16] Das Aufwertungsverbot sieht nur wenige Ausnahmen vor.[17] In Bezug auf Grundstücke sieht das Handelsrecht die Möglichkeit der Aufwertung bis zum wirklichen Wert zur Beseitigung einer Unterbilanz vor (Art. 670 Abs. 1 OR). Dabei handelt es um die Fälle, wenn die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven infolge eines Bilanzverlusts nicht mehr gedeckt sind (man spricht hier von Unterbilanz i.S.v. Art. 670 OR).[18] Andere Vorschriften, welche die Aufwertung von Grundstücken explizit vorsehen, sind im OR soweit nicht ersichtlich. Das in Art. 960b Abs. 1 OR vorgesehene Wahlrecht, die Aktiven mit Börsenkurs oder einem anderen beobachtbaren Marktpreis am Bilanzstichtag zu bewerten, ist auf Immobilien nicht anwendbar (das Kriterium der Homogenität, d.h. praktischer Austauschbarkeit der Vermögenswerte, ist bei Grundstücken nicht erfüllt).[19] Diese Ausgangslage führt zum Schluss, dass solange eine Immobiliengesellschaft keine Unterbilanz i.S.v. Art. 670 OR ausweist, ist die Aufwertung ihrer Immobilien bis zum Verkehrswert aktienrechtlich nicht vorgesehen.
Liegt ein Fall von Art. 670 OR vor, so kann eine Immobiliengesellschaft ihre Liegenschaften erfolgsneutral zugunsten der Aufwertungsreserven i.S.v. Art. 670 Abs. 1 OR und Art 671b OR aufwerten.[20] Im Falle vorgängiger Abschreibungen und Wertberichtigungen erfolgt eine Aufwertung bis zum Erwerbswert demgegenüber erfolgswirksam, als wieder eingebrachte Abschreibungen.[21]
Das Steuerrecht lässt, im Unterschied zum Handelsrecht, keine beliebige Tieferbewertungen zu.[22] Stille Reserven enthalten einen Anteil an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, welcher zum Realisationszeitpunkt besteuert werden muss. So enthalten steuerrechtliche Bestimmungen verschiedene Vorgänge, die zur Offenbarung der stillen Reserven führen.[23] Diese Tatbestände fallen unter den in Lehre und Praxis gängigen Begriff der Realisation von stillen Reserven[24].
Realisationsformen der stillen Reserven
Das Steuerrecht unterscheidet bei stillen Reserven sodann drei Realisationsformen: Echte, buchmässige und steuersystematische Realisation[25]. Bei der echten Realisation werden stille Reserven in eine andere Wertform umgesetzt bzw. ereignet sich ein marktmässiges Absetzen der unternehmerischen Leistung.[26] Echte Realisation der stillen Reserven ergibt sich bei entgeltlicher Veräusserung, Erbteilung, Ersatzbeschaffung oder Umstrukturierung.[27] Buchmässige Realisation erfolgt aufgrund buchmässiger (i.d.R. erfolgswirksamer) Aufwertung von Aktiven bzw. Herabsetzung übersetzter Passiven.[28] Bei der steuersystematischen Realisation geht es um die steuergesetzlichen Korrekturvorschriften, welche den handelsrechtlich korrekt ausgewiesenen Erfolgsrechnungssaldo für die Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung korrigieren (für juristische Personen vgl. Art. 58 DBG Abs. 1 lit. c, Art. 65 DBG, Art. 24 StHG, § 64 StG ZH usw.). Diese Korrekturvorschriften wollen vor allem verhindern, dass die in den stillen Reserven enthaltene Leistungsfähigkeit unbesteuert bleibt.[29] Sie schliessen einerseits die Besteuerungslücken, andererseits verfolgen sie sozial- und wirtschaftspolitische Ziele.[30]
Bei erfolgsneutralen Aufwertungen von Grundstücken, bei welchen der Aufwertungsbetrag als Aufwertungsreserve ausgewiesen ist, handelt es folglich um eine buchmässige Realisation der stillen Reserven[31], welche allenfalls nach den Regeln der steuersystematischen Realisation erfolgt (Einbezug der erfolgsneutralen Aufwertungsreserven in die Steuerbilanz). Der steuerbare Reingewinn setzt sich gem. Art. 58 Abs. 1 lit. C DBG und Art. 24 Abs. 1 lit. B StHG u.a. aus „den der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebenen Erträgen, mit Einschluss der Kapital-, Aufwertungs- und Liquidationsgewinne“ zusammen. Der erfolgsneutral als Aufwertungsreserve verbuchte Aufwertungsbetrag stellt einen solchen Aufwertungsgewinn i.S.v. Art. 58 Abs. 1 lit c. DBG und Art. 24 Abs. 1 lit. B StHG dar[32].
Zwischenfazit
Wie vorstehend dargelegt wurde, unterliegen Immobiliengesellschaften betreffend Realisierung ihrer auf dem Immobilienbestand entstandenen, meist erheblichen, stillen Reserven aktienrechtlichen Einschränkungen wie z.B. Art. 670 OR. Dies erklärt, warum sich die Immobilienbilanzwerte bei Immobiliengesellschaften in vielen Fällen massiv von deren Verkehrswerten unterscheiden bzw. unterscheiden müssen. Infolgedessen gerade bei Immobiliengesellschaften lassen die rechtmässig erfassten Bilanzwerte betreffend deren Immobilienpositionen keine sachgerechten Schlussfolgerungen über die Kapitalstruktur des Unternehmens zu.
Realisierte stille Reserven an Immobilien unterliegen entweder der Gewinnsteuer oder der speziellen Grundstückgewinnsteuer. Vorhandene, aber weder echt noch buchmässig realisierte stille Reserven ermöglichen den Immobilienunternehmungen, die in denen enthaltene Leistungsfähigkeit zeitlich zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich bei deren Realisation, zu versteuern. Stille Reserven auf von Immobiliengesellschaften gehaltenen Liegenschaften bleiben somit nicht unbesteuert, vielmehr werden sie in jedem Fall besteuert, sei es zum Zeitpunkt der Veräusserung des Vermögenswertes, sei es zum Aufwertungszeitpunkt.